zurück: Fenster schliessen

Gastkolumne April 2003

 Es ist Jahre her. Vera und Balkonia kamen ahnungslos nach Hause und wurden von Ihrem Vater freudig aus der Küche heraus begrüsst. Es gäbe abends eine Party und viele seiner Freunde kämen um unsere neuesten Errungenschaften zu begutachten: Erstens habe die PTT das neue Telefon geliefert und zweitens seien wir nun im Besitz eines Fernsehapparates mit Fernbedienung. Papi strahlte, probierte den Russischen Salat und hielt uns ebenfalls je einen Löffel hin.

Obwohl wir Schwestern vor allem die Erdbeerbowle ausgiebig probierten, hielt sich unsere Begeisterung für den neuen TV ziemlich in Grenzen, hatten wir in unserem Elternhaus nämlich praktisch keinen Empfang für so ein Gerät. Falls mal genügend Leute in unserem Haus waren, kletterte Balkonias Vater über eine Art Hühnerleiter in den Estrich. Dort endete die Stange, an der die Dachantenne befestigt war. Sie wurde dann vorsichtig von Papi hin- und hergedreht. Vor dem Fernseher sass Balkonia und brüllte zu unserer Tante Gusti – die hatte im Gang Stellung bezogen – «besser..., besser..., prima!» Gusti schrie das weiter zur Haushalthilfe Ursel – die auf der Treppe stand –, von ihr ging die Nachricht an Vera und diese rief schliesslich in Richtung Estrich «...prima!». Bis Papi allerdings die Nachricht erhalten hatte, schrie ich unten schon wieder: «ganz schlecht». Dem entsprechend war also die Bildqualität unseres TV und das Vergnügen in die Ferne zu sehen.

Na ja, die Party kam in Gang, die Männer sassen im Esszimmer, tranken eiskalten Wodka, assen fetten Fisch und wurden immer lauter. Wir Frauen waren im Wohnzimmer, die Schiebetüre zum Raum mit dem Fernseher blieb geschlossen. Wir tranken Bowle und knabberten Salzgebäck und wurden auch ziemlich lustig. Irgend wann durchmischten sich die Geschlechter wieder, mein Vater setzte sich in seinen Sessel und nahm ein klobiges Kästchen in die Hand. Wir durften die Türe zum Fernseher öffnen und sahen ein Gerät, das halt wie ein TV aussah, aber dann geschah das Wunder: Papi drückte auf einen Knopf des kleinen Kästchens und auf dem Bildschirm erschien – ziemlich erkennbar – Heidi Abel, die grad irgend welche Nachrichten las. Alle waren tief beeindruckt, sahen wir doch das erste Mal eine Fernbedienung. Unser Vater, weit weg vom Fernsehgerät, konnte gar den Ton lauter oder leiser werden lassen, ohne dafür seinen Sessel verlassen zu müssen. Er hätte auch sitzend den Kanal wechseln können, hätten wir noch über einen anderen verfügt.

Das neu von der PTT gelieferte Tastentelefon stiess hingegen bei der Gesellschaft auf wenig Verständnis. Wählscheiben seien viel praktischer, waren sich alle einig – und abgesehen davon müssten Telefone schwarz und nicht grün, wie unser neues, sein. Immerhin hätte damals an diesem Fest aber niemand, obwohl alle nicht mehr sehr nüchtern waren, das Telefon mit der Fernbedienung des Fernsehers verwechselt.

Die Zeiten ändern sich. Balkonias sitzen gemütlich beim Z’nacht, der Fernseher ist auf Zimmerlautstärke eingestellt, statt Heidi Abels, serviert uns Charles Clercs angenehme Stimme die Kriegsgräuel zu unserer Pasta. Er verabschiedet sich mit einem Bonmot und bei uns bricht das Chaos aus. Ein TV-Spotmarktschreier brüllt gegen den Lärm einer Art Musik an. Dies in Richtung unseres Esszimmertisches und das wiederum nur um Kaspar davon zu überzeugen, dass sein Leben mit den falschen Sommerpneus praktisch zu Ende sei. Kaspar hört nicht zu, ist er doch mit der Suche nach der richtigen Fernbedienung beschäftigt, um dem Werbegeschrei ein Ende zu setzen. Balkonia tut das Gleiche. So grabschen wir beide auf dem Tisch herum, schauen uns die verschiedenen, aber alle fast gleich aussehenden Kästchen an. Kaspar drückt vergeblich auf eines unserer Telefone und ich versuche das Gleiche mit dem Taschenrechner. Wir haben eine sehr schicke Haushaltung – alle unsere Fernbedienungen (Radio, Video, CD-Player, Backofen, DVD und Parabolantenne) sind im gleichen geschmackvollen Silbergrau gehalten, wie die Telefone und was sonst so formal zum Rest passt. Nur das Salzfass sieht etwas anders aus.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viele gemütliche fernsehfreie Abende im Garten oder auf einem mit Geranien verziertem Balkon, jassen Sie doch mal wieder mit den Nachbarn oder spielen Sie mit Ihrer Arbeitskollegin Schach. Alles garantiert werbefrei.

Bis bald, Eure Balkonia