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Gastkolumne: Balkonias Urwaldtipps
April 2004

„Hör mal, Balkonia, die sprechen überall die gleiche Sprache“, versucht mich Kaspar aufzumuntern. „Wer?“ frag ich ihn verschlafen und versuche nicht zu stolpern auf dem unebenen Gehweg. „Na die Tauben, die plappern überall uhuh u, uhu u“. Balkonia bleibt stehen, weckt auch ihr zweites Ohr und hört genau hin. „Nein Kaspar, diese Tauben hier im Park sprechen türkisch!“. Nach längerem konzentriertem Zuhören, bemerkt er es auch , türkische Tauben unterhalten sich ühüh ü, ühü, ü. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb diese Vögel immer sofort wieder in ihren angestammten Taubenschlag zurückfliegen, wenn sie können – auch Vögel mögen es, wenn sie alles verstehen und verstanden werden, es sei denn, es sind Zugvögel, die sind sich wahrscheinlich einiges gewohnt oder mehrsprachig. „Als Zugvogel wäre ich ungeeignet“ bemerke ich zu Kaspar, als Lämmchen taugt Balkonia auch nicht, ich brauche keinen Leithammel, der mich morgens um halb sechs aus dem warmen Bettchen holt, Frühstück organisiert und Reisecars bereit stellt, nur um eine 200 km weit entferne Tropfsteinhöhle zu besichtigen.

„Setz Dich gemütlich hier an diesen Tisch, rauch dein Zigarettchen, ich bring dir alles, was du willst“, sagt Kaspar vergnügt zu mir und nimmt den Kampf ums Frühstücksbuffet auf. Ich kriege klebrigen Orangensaft, frische Brötchen, Marmelade und Honig, Kaspar trinkt Kaffee, isst Eier und Käse und mischt sich noch ein Müsli. Langsam wird Balkonia wach. Ich bemerke den Gigantismus dieser Verpflegungsanlage und denke sehnsüchtig an unseren Küchentisch mit den wackligen Holzstühlen, an das Mandarinenbäumchen auf der Fensterbank, das ungeduldig darauf wartet, dass es endlich warm wird, damit es wieder an die frische Luft darf. Weshalb, verflixt noch mal, hat der Bertelsmannverlag ausgerechnet der Balkonia eine Reise für zwei Personen nebst Halbpension und Fünfsternehotel geschenkt? „Reisen bildet“, meint Kaspar und wir machen uns auf den Weg, suchen den uns zugeteilten Bus, die Nummer 1, der für uns bestimmte Leithammel namens Ümit steht bereit, grüsst alle freundlich und wir setzen uns in den Car.

Ümit ist Reiseleiter, ein staatlich anerkannter mit Diplom und so. Das hat Vor- und Nachteile. Diese Reisebegleiter haben alle einen Hochschulabschluss in Geschichte oder Geographie. Während der Reiseleiterausbildung wird diesen Gebildeten auch noch beigebracht, wie man ab und an ein Witzchen macht um die Schäfchen bei Laune zu halten. Ümit hat es sich zum Ziel gesetzt, dass wir alle nach einer Woche ungefähr gleich viel über die ollen Römer, Griechen, Türken und Ägypter wissen, wie er nach jahrelangem Studium. Das schlaucht. Gegen Abend erreichen wir echt müde das Hotel. „Übermorgen hast du doch Geburtstag, ich hab dir ein Geschenk gemacht“, versucht Kaspar mich zufriedener zu machen. Während sich Balkonia überlegt, ob sie vielleicht einen warmen Pullover kriegt, den er irgendwo aufgetrieben hat – unsere Sommergarderobe, die wir eingepackt haben, passt irgendwie nicht zu den momentanen Temperaturen - kramt Kaspar einen Zettel raus: Quittung vom Hotel, 100€ für eine Übernachtung. Mit anderen Worten: Er hat uns mit diesem Betrag vom nächsten, zweitägigen Ausflug ins Landesinnere freigekauft und bleiben im Hotel. 48 Stunden nur wir beide! Shopping, Strand, Muscheln sammeln, essen wann und was wir wollen. Es wurden die zwei schönsten Tage unseres Urlaubs. Kaspar hat sich eine Türkische Zeitung gekauft, diese unter den Arm geklemmt, wir haben uns unauffällig gekleidet und sind ins Städtchen gebummelt. Niemand hat uns angebaggert um uns T-Shirts anzudrehen – Einheimisch werden in Ruhe gelassen. Der Nachteil war, dass Balkonias türkisch angesprochen wurden und dementsprechend auch die türkischen Speisekarten in die Hand gedrückt bekamen.

An meinem Geburtstag ruft Conny an, sie ist die neue Mutter von Balkonias altem Mandelbäumchen, weil dieses in der neuen Wohnung zu wenig Platz gehabt hätte. „Es blüht, es blüht“, freut sie sich, sie habe nicht mehr daran geglaubt, aber exakt an Balkonias Geburri die ersten Blüten. Dieser Mandelbaum ist erstaunlich zuverlässig. Das Wetter in Luzern sei fantastisch, meint sie noch und wir freuen uns auf ein gemeinsames Glas Wein unter der Blütenpracht.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Balkonia erspart Euch an den weiteren lehrreichen Ausflügen teilzunehmen, aber das eine, das typische türkische Dorf müsst Ihr doch noch mit uns besuchen. Abfahrt 08.00 Uhr. Zwei Stunden im Car. Klugscheisserei von Ümit. Sehr enge Strasse einen Berg hoch. Vor dem Kaff stehen bereits 25 andere Busse. Dementsprechend viele Touristen. Auf den Gassen sitzen Türkinnen, die sich als Nomaden verkleidet haben und verkaufen Herrensocken von Hugo Boss, Gürtel von Joop, Armani und Lewis. Shirts von Lacoste kosten 10€, Rolexuhren 50€ und Bananen von Chichita 50 Cent. Ein typisches Türkisches Nomadendorf halt...

Was hat Balkonia aus dieser Reise mit nachhause gebracht? Ich begegne unseren asiatischen Touristen hier mit Respekt, schubse sie nicht mehr weg, wenn sie vom Salatkopf, den ich grade kaufen möchte, ein Foto machen wollen, ich lächle sie freundlich an und wünsche ihnen mal einen freien Tag hier in Luzern, Zeit unsere Stadt für ein paar Stunden so zu sehen, wie sie ist. Ohne Besserwisser, ist eh egal wie alt die Kapellbrücke ist, bekanntlich brennt die gut und das meiste aus der Geschichte stimmt laut Ümit ohnehin nicht.

Viele liebe Grüsse und sucht fleissig Ostereie
bis bald, Eure Balkonia, bis bald