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Gastkolumne: Balkonias Urwaldtipps
Januar 2003

Wir sollen uns doch bitte alle noch mal den beleuchteten Weihnachtsbaum anschauen, fordern uns die Gastgeber auf, sie müssen ihn jetzt vom Stromnetz nehmen, sonst müssten wir bei Kerzenlicht abwaschen. Es ist Heilig Abend und den feiern wir traditionsgemäss seit Jahren immer im gleichen Freundeskreis. Dieses Jahr mitten im Kastanienwald hoch über Bellinzona bei Mark und Monika; und die beiden haben liebevoll einen knorrigen Haselstrauch zu einem Weihnachtsbaum umfunktioniert. Der steht dort mitten im Wald und führt sich zu Recht wie eine Diva auf. Seine Glaskugeln, die Papierengel, das Lametta, alles glänzt und leuchtet im Schein der Glühbirnchen. Weihnachten wie aus dem Bilderbuch, nur der Schnee fehlt – Gott sei Dank (die beiden erreicht man nur über einen langen und sehr steilen Trampelweg durch dichtes Gestrüpp).

Wann, fragt die eher praktisch denkende Balkonia, lasst ihr euch endlich an ein Stromnetz ankoppeln? Diese Kilowattstundenzählerei (weil Sonnenstrom) an bewölkten Tagen kann ja nicht das wahre Glück sein und das dauernde Gerenne zu den Solarkollektoren um sie Richtung Sonne gucken zu lassen, ist doch eigentlich auch nicht das Gelbe vom Ei. Höre auf, höre auf, liebste Balkonia, sei still! Mark hält sich die Ohren zu und rollt mit den Augen. Er war mal Schauspieler und seine Paraderolle war Schillers Wilhelm Tell. Mark steht nun, rollt weiterhin bedrohlich mit den Augen und verteidigt sein Recht auf selbst gemachte Elektrizität. Nein, den Stromvögten liefere er sich nicht aus und abgesehen davon könne er mit Schulden nicht leben. Nur schon die Vorstellung: Schulden! Mark greift sich ans Herz und kriegt vorsorglich von Monika einen anständig bemessenen Whisky verabreicht. Nun, meint Balkonia, man könne ja zum Beispiel die Rechnung der Stromverkäufer bezahlen, dann habe man keine Schulden mehr. Ja, meint Mark, das könnte man, falls man dann noch lebe. Die Stromrechnungen kommen erfahrungsgemäss zwei Mal pro Jahr und es sei möglich, dass man das Eintreffen dieser Rechnung nicht erlebe. Nein, so wolle er nicht sterben. Geschickt wechselt meine Schwester das Thema und es wurde ein sehr gemütlicher Heiliger Abend im Urwald bei Kerzenlicht und Weihnachtsliedern aus der strombetriebenen Musikanlage. Ach, dachte sich Balkonia, hätte doch der Baum nur etwas länger geleuchtet, dann wäre uns der Pavarotti erspart geblieben, aber die Batterien hielten tapfer durch. Bis zum Ave Maria.

Das Neue Jahr wird in Luzern wortwörtlich eingeläutet. Fast alle Kirchenglocken geben ihr Letztes um das Gedröhne unserer Dampfschiffflottennebelhörner zu überbimmeln. Seit ein paar Jahren werden auch Feuerwerke gezündet, mit anderen Worten: Das neue Jahr beginnt lärmig. Die Katze ist in Kaspars Aktentasche geflüchtet, hält sich dort die Ohren zu, faucht und knurrt. Dass das Telefon klingelt kriegen Balkonias nur mit, weil in unserem Apparat auch ein optisches Signal für Gehörlose eingebaut wurde. Wir nehmen den Anruf entgegen und handeln uns wahrscheinlich den Hörschaden fürs Leben ein: Glockengeläute mit 140 Dezibel und im Hintergrund brüllt Balkonias Schwester aus Ligornetto – sie wohnt direkt neben der Dorfkirche. Sie und zwei Nachbarinnen haben dem Pfarrer fünfzig Franken gegeben, damit er Silvester um Mitternacht die Glocken läuten lasse, im Mendrisotto sei das nicht üblich und das habe sie letztes Jahr doch so vermisst. Ach, ist das nicht schön, schreit sie, toll, brüllen wir zurück. Es Guets Neus kreischt es aus dem Hörer und das wünscht Balkonia allen ihren Leserinnen und Lesern auch.

Bis bald
Eure Balkonia