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Gastkolumne vom Juli 2003

 „Liebste Balkonia“, werde ich von Kaspar begrüsst, „ich lade dich heute Abend in unsere neue Finkenbeiz zum Z’nacht ein“. Balkonias zügeln demnächst. Hundert Meter westwärts in eine andere Welt. Ich schrubbe mir noch schnell die Gartenerde von den Fingern, ziehe mir saubere Hosen an und wir machen uns auf den Weg ins Restaurant LI TAI PE, das ist der Nobelasiate der Stadt Luzern und demnächst unser nächst gelegenes Restaurant. Wir setzen uns gemütlich in den chinesischen Garten, kriegen wunderbare Speisen von freundlichen Kellnern serviert, trinken Bier, sind beide etwas sentimental, weil man vor einem Umzug ja bekanntlich alle Sachen einpacken muss und somit auf viel Vergangenheit in diversen Schubladen stösst.

“Ach, apropos Finkenbeiz“, sag ich zu Kaspar, “da fällt mir eine uralte Geschichte ein“. Vor vielen Jahren zogen meine Eltern mit der kleinen Balkonia in ein Dorf namens Hergiswil, bezogen dort ein hübsches Haus am See, waren zuversichtlich, sprachliche Probleme sollte es eigentlich nicht geben, Balkonias Elter konnten perfekt Hochdeutsch. Am ersten Vormittag nahm mich meine Mutter mit, um einkaufen zu gehen. In dem Laden waren viele andere Mütter mit ungefähr gleichaltrigen Kindern, wie ich. Geduldig wartete meine Mutter ab, wie die Mütter vor uns ihr Brot einkauften, was etwa so klang „Grüezi Herr Blättler, wie geht’s , Vrenali wieder gesund? Ja, wie immer hätte ich gerne ein Pfünderli Dunkles wenn sie wänd so guet sie. Vielen Dank und Grüsse an ihre Frau blabla“.

Meine Mutter war Berlinerin und dort kauft man Brot anders ein, was sie auch tat. In perfektem Bühnendeutsch: „Ich krieg vier Brötchen!“. Totenstille im Laden. Damals waren Deutsche bei der ländlichen Urbevölkerung der Schweiz etwa so beliebt, wie heute unsere Mitmenschen aus den Balkanländern. „Jahwoll Frau Oberscht“, kam die Antwort, die meine sprachlich begabte Mutter verstand und darauf ohne Brötchen heulend das Geschäft verliess, verfolgt von einer Mutter, die den Vorfall mitgekriegt hatte. „Es seien nicht alle Schweizer so“, wurde getröstet und die beiden haben Namen und Adressen ausgetauscht.

Ein paar Tage später erhielten Balkonias Elter eine Einladung zu einem Fest bei dieser Irma und ihrem Mann Peps. Auf der Einladung stand ganz unten „Bitte Finken mitbringen“. Wie gesagt, Mutti und Papi sprachen perfekt deutsch und wussten genau, was Finken sind. Mein Vater hat sich schlau gemacht und rausgekriegt, dass die nächste Tierhandlung in Luzern ist. Das Boot wurde flott gemacht und wir fuhren in die Stadt, um Finken zu kaufen. „Hätte er nicht, seien auch nicht so üblich hier in der Schweiz als Haustiere, aber bis Samstag treibe er ein Pärchen auf“, sagt der Zoohändler. Am Samstag haben dann mein Vater und ich –Mutti war beim Coiffeur – die völlig verängstigten Vögel in einem Transportkäfig mit dem Boot nach Hergiswil verfrachtet, wo sie in mein Kinderzimmer kamen, um vor den Katzen sicher zu sein. Meine Mutter kam prima frisiert vom Coiffeur, hat sich ihre Nägel rot lackiert, ihr tolles, enges Abendkleid angezogen, mein Vater seinen Smoking, die Finken wurden aus meinem Zimmer geholt und meine Eltern haben sich überlegt, ob sie ein Tuch über den Käfig legen sollten, aus Kinofilmen kannten sie das irgendwie – selbst hatten sie mit Vögeln nicht viel Übung, jedenfalls nicht mit solchen als Haustiere.

Mein Babysitter, der von Irma organisiert wurde, und somit wusste, wo Balkonias Eltern hin gehen, kam an, starrte die beiden aufgedonnerten Deutschen mit Vogelkäfig und Blumenstrauss in der Hand an , hat kichernd den beiden ein schönes Fest gewünscht und sich dann liebevoll der armen Kleinen von so verrückten Eltern zugewandt. Die Vögel wurden noch am gleichen Abend in ihre gewohnte Freiheit entlassen, meine Eltern haben ihr erstes schweizerdeutsches Wort gelernt: Finken gleich Pantoffeln. Die Vier wurden dicke Freunde, Peps und Irma haben nie mehr unter eine Einladung „bitte Finken mitbringen“ geschrieben, Papi ist nie mehr im Smoking, aber immer mit richtigen Schuhen, an deren Feste gegangen und Irma hat sich immer sehr zurecht gemacht , wenn sie zu uns an Feste kam. Was lernen wir aus dieser Geschichte? Fremdsprachen verbinden! In diesem Sinne, Balkonia wünscht allen fröhliche Sommerfeste mit und ohne Finken, sicher aber mit einem Glas Wein – und ich melde mich dann wieder nach unserem Umzug

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Viele liebe Grüsse, Eure Balkonia