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Gastkolumne vom Juni 2004

«Wir haben heute 8o Rappen gespart», strahlt Balkonia. «Doll, lass uns die versaufen, dann torkeln wir anschliessend nach Hause», frotzelt Kaspar, will aber dann doch wissen, wie wir es fertig gekriegt haben, eine derartige Summe an einem einzigen Tag einzusparen. Stolz zeige ich auf die beiden Zitronenhälften auf unseren Tellern mit dem Carpacchio. «In unserem Körnlipicker-Laden an der Mariahilfgasse kostet eine unbehandelte Zitrone 80 Rappen», erkläre ich geduldig, und dass es sich bei unseren zwei halben um Eigenanbau handelt. Kaspar ist tief beeindruckt, bemerkt, dass in diesem Laden das Pfund Kartoffeln aus Bodenhaltung 25 Franken koste, dafür aber garantiert werde, dass der Bauer, der die Dinger ausgebuddelt hat, nicht von seiner Frau geschlagen werden darf und einmal pro Woche etwas anderes zu essen kriegt als eben Kartoffeln. Ich solle mir überlegen, Härdöpfel in den Geranien-Kistli anzupflanzen, der Spareffekt wäre dann enorm und wir könnten uns ununterbrochen mit «Kalterersee»-Auslese vollaufen lassen. Kaspar öffnet eine Flasche von unserem guten «Italiener», toastet zwei Scheiben Brot – Balkonias stossen auf die eigene Zitronenplantage an und träufeln den besten Citrus-Saft der Welt aufs Rindsfilet.

Eigentlich, bemerkt Kaspar, seien es seine Zitronen und da hat er Recht: Letztes Jahr, als es kalt wurde, bat Balkonia ihren Kaspar, die Zitrusbäumchen ins Wohnzimmer zu schleppen. «Die bleiben auf dem Balkon!», er sei es leid mir täglich zuzusehen wie ich rote Spinnen, weisse Fliegen und andere Läuse von jedem einzelnen Blatt der Pflanzen entferne, «entweder sie überleben den Winter auf dem Balkon oder sie werden durch was Wetterfestes ersetzt». Kaspar hat die Pflanzenkübel liebevoll in Blööterlifolie verpackt, die beiden Bäumchen an die Hauswand geschoben und ihnen einen angenehmen Winterschlaf gewünscht. An der Fasnacht wurden die ersten Zitronen gelb, keiner der beiden Pflanzen hat auch nur ein einziges Blatt verloren und seit ein paar Tagen fangen sie an zu blühen, wie Balkonia das nie erlebt hat mit dem Wohnzimmersystem.

 

Wir haben dann noch die Küche aufgeräumt, eine alte Schallplatte von Santana aufgelegt, die zweite Flasche Wein geöffnet – schliesslich gab es was zu feiern – und dann ging es los, draussen auf der Strasse. Hupkonzert und Gegröle und das kurz vor Mitternacht. Sämtliche Portugiesen der Umgebung haben sich in ihre Autos gesetzt um einen Fussballsieg in Gelsenkirchen – das liegt in Deutschland – zu feiern. Bahnhof-Hofkirche-Bahnhof-Hofkirche-Bahnhof... stundenlang. Stellen Sie sich mal vor, alle Sportsiege würden so gefeiert. Sämtliche Schweizer holten nach fast jedem Tennismatch ihre Karossen aus der Garage um den Roger Federer mit einem Autocorso zu feiern. Der Federer gewinnt fast täglich irgendwo ein Spiel und Schweizer hat es hier in der Gegend auch noch ziemlich viele, auch solche mit Autos. Die Russischen Touristen würden sich um die Mietautos prügeln um den neuen Schachweltmeister zu zelebrieren, die Japaner den Weltrekord im Ziegelsteinezertrümmern (mit dem kleinen Finger). Theoretisch ist es möglich, dass gleichzeitig ein Achter mit Steuermann aus den USA eine Regatta im Irak gewinnt, jemand aus Ex-Jugoslawien Fechtweltmeister wird, und ein Italiener den höchsten Berg der Welt barfuss und ohne Sauerstoff erklimmt und alle wollen das auf der Seebrücke feiern – na und der Roger Federer hätte auch noch grad ...

Da feiern wir doch lieber Balkonias fünf gelbe Zitronen, ganz still und leise mit Rotwein, etwas Musik und achtzig Rappen im Sparschwein.

Ich wünsche allen Zitronenbaumbesitzern und –besitzerinnen eine reiche Ernte, ebenso denen, die einen Kartoffelacker haben und allen anderen viele bunte Blumen, schönes Wetter, halt einen tollen Juni und uns Stadtbewohnern wünsche ich viele Unentschieden im Fussball – auf die Gefahr hin, dass dann beide gleichzeitig feiern, was Gott verhüten möge.

Bis bald, Eure Balkonia

Viele liebe Grüsse, Ihre Balkonia