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Gastkolumne: Balkonias Urwaldtipps
November 2004

Balkonias haben sich einen neuen Staubsauger gekauft. Das Ding heisst Dyson Animal und saugt wirklich tierisch gut. Der Katze haben wir erklärt, dass sie sich besser verkriecht, sonst landet sie im Auffangbehälter. Moderne Staubsauger haben keine Säcke mehr. Damit man sieht wie dreckig die Wohnung war, wird alles in einen glasklaren Kübel befördert – man schämt sich echt, verbietet der Katze weiterhin zu fusseln, überlegt sich Pantoffeln zu kaufen und verkneift es sich, krümelige Sachen wie Brot zu essen. Total neue Lebensqualität! Vor allem am Donnerstag, wenn unsere liebe Lala kommt und das Ungeheuer in Gang setzt.

Im Gegensatz zu Balkonia hat unsere Fachfrau in Sachen Reinlichkeit den Marsmenschen – so sieht der Sauger aus – sofort begriffen. Die Gebrauchsanweisung besteht nur aus Piktogrammen, wahrscheinlich aus Rücksicht auf nur albanisch sprechende Sauberkeitsfanatikerinnen. Mit Piktogrammen hat Balkonia ja so ihre liebe Mühe. Irgendwie deute ich sie immer falsch. Balkonia landet regelmässig auf dem Männerklo in der Beiz, nur weil ich die Striche, Punkte und Dreiecke wieder mal falsch verstanden habe. Es gibt WCs, da wird folgendermassen unterschieden: stehendes Strichmännchen = Herrenklo, sitzendes = gleich Damentoilette. Wo zum Teufel gibt es noch Männer die stehend pinkeln und noch nicht von ihren Frauen erschlagen wurden? Nun ja, so viel zum Thema Piktogramme.

Gestern hatten Balkonias ihren Lala-Tag. Kaspar wollte eigentlich in Ruhe arbeiten, aber Lala plus Marsmensch ist irgendwie ungemütlich. Wir haben dann gemeinsam das Altglas über die Kopfsteinpflaster gerüttelt, die vollgeklebte Coop-Karte gegen vier Weissweingläser eingetauscht, im Stadtkeller bei Flavia was getrunken, die Altstadt von Luzern bei traumhaftem Wetter genossen, beobachtet, wie die Geranienkistli vom Rathaus geholt wurden, die Marronistandbesitzerin etwas getröstet – in ihrem Holzhäuschen wurde innert Tagen zum dritten Mal eingebrochen –, uns gewundert, dass in den Schaufenstern nur noch Kleider für „Kleinkinder“ ausgestellt sind obwohl in der Zeitung stand, dass die Schweizer immer dicker werden. Wo kaufen die ein? Wir sind über X Baustellen geklettert – zur Zeit wird hier glaub alles umgebaut –, Balkonia hat hübsche Bauarbeiter gesehen, unsere Freundin Conie nennt sie „Knusperli“. Baustellen haben also auch ihre Daseinsberechtigung, wenigstens zur Unterhaltung von Balkonias.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, geniesst die letzten warmen Sonnentage, kauft Euch Marronis und verbrennt Euch die Fingerchen, verliebt Euch in hübsche Bauarbeiter oder Kastanienbraterinnen. Ich gebe Ihnen jetzt noch mein Lieblingsgedicht zum Herbstende auf den Weg. Ist von Rainer Maria Rilke und für die genaue Wiedergabe würde ich meine Fingerchen nicht ins Marronifeuer legen:

Herr es ist Zeit
Leg Deine Schatten auf die Sonnenuhren
Und auf den Fluren lass die Winde los

Befiehl Deinen letzten Früchten voll zu sein
Gib ihnen noch zwei südliche Tage
Dränge sie zur Vollendung hin
Und jage die letzte Süsse in den schweren Wein

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr
Wer jetzt allein ist wird es lange bleiben
Wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
Und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern
Wenn die Blätter treiben

Bis bald, Eure Balkonia