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Gastkolumne: Balkonias Urwaldtipps
November 2006

Einmal im Jahr ist es soweit. Frau Anita Gasser von der Neustadt-Treuhand ruft an und erinnert Kaspar daran, dass es Zeit ist für die Steuererklärung. Balkonias Kaspar wird dann wahnsinnig aktiv. Sämtliche Küchenmaschinen werden rausgekramt, der mise en place für die Bearnaise-Sauce wird eingekocht, es gibt selbst gemachte Knöpfli, und Gläser werden mit Heidelbeerkompott eingefüllt. Kaspar holt alle Spinnhupellen runter und die Küchenvorhänge werden gewaschen. Er besucht seine Kunden, putzt seine Schuhe und lädt mich ins „La Bonne Cave“ zu einem Halbeli ein. Richtig gemütlich. Balkonias treffen alte Freunde, wir lümmeln rum, Kaspar kauft einen Chüngel und bekocht mich und die Nachbarn.

Zur gleichen Zeit bekommen auch Balkonias Schwester und ihr Pietro die Aufforderung das lästige Formular auszufüllen. „Weisst Du, wir könnten dieses Jahr doch unseren eigenen Wein machen“, meint Vera. Sie holt die Leiter aus dem Rustico und fängt an, die Trauben vom Spalier zu lesen. Pietro fährt in die Stadt und kauf zehn Bücher zum Thema: Wie werde ich Winzer. Während Vera die Trauben sortiert, schreibt Pietro dem Amt und bittet um Aufschub zur Einreichung der Steuererklärung, sie seien mitten in der Weinlese. Dafür hat jeder Tessiner Beamte Verständnis. Pietro nimmt sich zwei Wochen Ferien, dies mit der Begründung, er müsse die Steuererklärung ausfüllen. Dafür hat jeder Arbeitgeber Verständnis. Die beiden kaufen sich einen grossen Bottich und füllen ihn mit Tessiner Chatzenseicherli. Drei Mal täglich waschen sie sich die Füsse und trampeln in der Maische rum. Mit der Gärung klappt es nicht, es ist zu kalt im Tessin. Der Bottich wird unter Mithilfe einheimischer Nachbarn in einen Raum mit Chemine geschleppt und Holz wird organisiert. Jetzt sitzen die beiden vor dem Kaminfeuer, schauen jede Stunde nach, ob die Maische anfängt zu gären und stampfen regelmässig in dem Brei rum. Ihre Füsse sehen aus wie wenn sie in ein Tintenfass getaucht wurden, die Nachbarn schauen ab und an herein und wundern sich, wie Deutschschweizer Merlot herstellen. Vera kreiert eine tolle Etikette und Pietro kauft sterile Flaschen ein und ein Gerät zum Verzapfen. Mit dem Störbrenner für den Grappa wird ein Termin ausgehandelt, Pietro verlängert seine Ferien und das Steueramt gibt ihnen noch mal drei Wochen – die sehen ein, dass Winzeranfänger etwas mehr Zeit brauchen um Wein herzustellen.

Balkonias Kaspar hat keinen Aufschub bekommen. Er kauft zehn Kilo Kastanien ein und macht Vermicelle. Stundenlang steht er in der Küche und pellt Marroni, kocht diese ein und drückt sie durch alle möglichen Maschinen. Dann wird die Küche blitzblank geputzt und er setzt sich todmüde an den Schreibtisch und wühlt in den Papieren.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, falls sie grad die Steuererklärung ausfüllen müssen, schieben Sie das raus. Sie werden Fähigkeit bei sich finden, auf die Sie nie gekommen wären.

Balkonias wünschen allen einen schönen November mit neuen, zeitaufwändigen Hobbys und viel Spass mit Steuerbeamten.EndeText  Kolumne

Bis bald, Eure Balkonia